Der historische Hintergrund von Diplomacy

Ihr habt sicher auch was außerhalb der Dippy-Welt erlebt, was ihr uns mitteilen wollt ...
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Asark
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Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Aus der Sicht unserer Zeit kann man behaupten, dass die Entwicklungen in Europa, vor allem in den zwischenstaatlichen Beziehungen der Großmächte seit 1850 sich soweit gewandelt haben, dass sie fast nur noch in einem großen Knall, dem I. Weltkrieg enden konnten. So sehr die inneren Prozesse der einzelnen Staaten differierten, so sehr war die Suche nach dem Konflikt mit den Nachbarn gewollt. Die Überschätzung der eigenen Stärke bzw. das Verkennen der eigenen Schwäche, gepaart mit dem Unverständnis für das Selbstverständnis der anderen Nationen, zwang alle Seiten die Fronten zu verhärten. Im Folgenden sollen die wichtigsten Entwicklungsphasen der einzelnen Großmächte sowohl innen-, als auch außenpolitisch kurz dargestellt werden.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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England
Das Britische Empire stellte in vielerlei Hinsicht die große Ausnahme dar. Es blieb in der dargestellten Zeitperiode von jeglicher politischen Revolution verschont. Die konfliktreiche Entmachtung der Monarchie hat bereits 1688/89 ihren Höhepunkt überschritten, so dass die Entwicklungen in Kontinentaleuropa die Insel nur peripher tangieren konnten. Die lange Friedenszeit hat sich ganz im Gegenteil positiv auf die wirtschaftliche Kraft des gesamten Landes ausgewirkt. Hinzu kam natürlich die früh einsetzende Industrialisierung, die dem gesamten Empire einen sehr vornehmen Vorsprung vor der gesamten Welt zugesichert hat. Man kann zu Recht behaupten, dass England zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Rolle innehatte, die Amerika sich bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts erkämpft hatte. Die Epoche seit 1837 bis 1914 trägt den Namen Viktorianisches Zeitalter. Diese Bezeichnung wurde vor allem durch die erste Weltausstellung 1851 in London geprägt. Der sichtbare technische Vorsprung und die tiefe Zufriedenheit der Bevölkerung fanden hierin ihren Ausdruck, obwohl Königin Viktoria keinesfalls die Leitfigur war, die man ihr durch die Epochenbezeichnung zumuten würde. Vielmehr wurden die politischen Belange hauptsächlich von Ihrem Ehemann Albert von Sachsen-Coburg-Gotha geleitet. Nach seinem Tod 1861 zog sich Königin Viktoria fast komplett vom politischen Alltag zurück. Ihr Nachfolger Eduard VII. war bei seiner Krönung bereits 59 Jahre alt und sah sich immer größeren politischen Problemen gegenübergestellt. Der technische und wirtschaftliche Vorsprung, der knapp 50 Jahre vorher noch uneinholbar schien, war vor allem vom Deutschen Reich herausgefordert worden und schmolz rasant dahin. Zudem wurde England durch den zunehmenden Imperialismus von allen Seiten offen bedroht, so dass sich bereits hier andeutete, was immer unvermeidlicher wurde. England sah sich nun zu dem Entschluss bereit, seine Politik der "splendid isolation" aufzugeben und sich über die diplomatischen Kanäle Verbündete zu suchen. Das Deutsche Reich, das mit Englands maritimer Vormachtstellung zu konkurrieren versuchte, war lange Zeit als wünschenswertester Vertragspartner favorisiert. Allerdings konnte man sich mit dieser Idee im wilhelminischen Kaiserreich nicht anfreunden, so dass eine Einigung zwischen England, Frankreich und Russland, auch als "Triple-Entente" bekannt, die sinnvollste Alternative darstellte.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Frankreich
Napoleon III. hat der Zeit nach der Revolution von 1848 seinen Stempel in ganz besonderer Weise aufgedrückt. Nachdem er bereits zweimal mit einem Putschversuch kläglich gescheitert war, suchte er den legalen Weg der Machtergreifung und hatte erstaunlicher Weise sehr viel Erfolg für sich verbuchen können. Im Dezember 1848 wurde er mit 5,4 Millionen Stimmen, gegenüber ca. 1,5 Millionen Gegenstimme, zum Staatsoberhaupt gewählt. Durch seine wachsende Beliebtheit beim Volk konnte er es 1851 sogar wagen das Parlament aufzulösen und 1852 eine Verfassungsänderung durchbringen, die große Ähnlichkeiten mit der Konsularverfassung aus dem Jahre 1799 aufwies, die sein Onkel, der große Napoleon Bonaparte, geschaffen hatte. Als dieser Schritt Napoleons III. vom Volk mit 7,5 Millionen Wahlstimmen legitimiert wurde, war der nächste logische Schritt, dass er sich zum Kaiser der Franzosen ausrufen ließ. Die Zweite Republik wich somit dem Zweiten Kaiserreich.
Die Gesetzgebung Napoleons III. brachte sowohl für die Arbeiter bessere Umstände mit sich deckte auch die Bedürfnisse des aufsteigenden Bürgertums. Somit waren die Voraussetzungen für die aufkeimende Industrialisierung vorerst in die richtigen Bahnen gelenkt worden. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Umgestaltung der Hauptstadt Paris. Sie wurde bis zum Jahre 1870 von der mittelalterlichen Stadt in eine moderne Metropole mit weiten Boulevards, großzügigen Plätzen, neuartigen Straßensystemen und vor allem mit einer modernen Wasserversorgung und einem neuen Abwassersystem transformiert. Das System Napoleons brach aber mit einem großen Knall zusammen. Der Krieg gegen Preußen, der von Bismarck von langer Hand vorbereitet war, endete mit einer schmachvollen Niederlage. Am 18. Januar 1871 wurde der König von Preußen zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Damit war die Einigung der deutschen Einzelstaaten abgeschlossen und der Startschuss für die fast 100 Jahre dauernde Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland gefallen.
Mit der Niederlage Frankreichs wurde die Dritte Republik begründet. Zwar hat Bismarck nichts unversucht gelassen, um Frankreich möglichst klein zu halten, aber dennoch hatten die Franzosen jedwede Möglichkeit ergriffen, um wieder Anschluss an die Großen der Weltpolitik zu finden. Schließlich war Frankreich immer noch eine Kolonialmacht. Aus der Frustration im Inneren heraus konzentrierte man sich wieder mehr um die Außenbesitzungen. Aus diesem Grunde konnten die Belastungen des Deutsch-Französischen Krieges relativ schnell abgebaut werden. Spätestens als England und Frankreich ihre Annäherung mit der "Entente cordiale" besiegelt hatten und dieser Bündnispakt mit der "Triple Entente" erweitert wurde, konnte Frankreich sich wieder zur alten Riege der Großmächte zählen.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Deutsches Reich
Das Ergebnis des Wiener Kongresses von 1815 mit der Gründung des Deutschen Bundes war für die meisten deutschen Staaten sehr ungünstig. Der Dualismus zwischen Preußen und Österreich konnte für die gesamtdeutsche Frage weder in politischen noch in wirtschaftlichen Fragen Früchte tragen. Der hieraus wachsende Unmut entlud sich in der Revolution von 1848/49. Allerdings hatten die Revolutionsanhänger ihre Rechnung ohne die Staatsobrigkeit gemacht. Der Deutsche Bund wurde schließlich wiederhergestellt und die revolutionären Kräfte rigoros unterdrückt. Schließlich leuchtete 1862 der Stern eines Mannes auf, der für die folgenden Jahrzehnte die deutsche Politik beherrschen sollte und die Einigung der Deutschen Einzelstaaten mit aller Entschlossenheit vorantrieb. Die Rede ist natürlich von Otto von Bismarck. Als Ministerpräsident hatte Bismarck zuerst die Aufgabe die Streitigkeiten zwischen dem preußischen König und dem Parlament in der Budgetfrage beizulegen. Der neue starke Mann in Preußen schaffte nicht nur die Konflikte zu beenden, er machte allen Seiten für zukünftige Aufgaben Mut. Was Bismarck nun aber außenpolitisch in Vorbereitung auf die Einigung des Deutschen Reiches leistete, war extravagant zu bezeichnen. Er hielt sich bei Auseinandersetzungen zweier Staaten dezent zurück, oder mischte sich forsch ein. Jeder Schritt, den er auf der außenpolitischen Bühne trat, führte ihn immer näher zum Ziel. Er hatte zwei Punkte fest vor Augen. Zum einen musste Österreich aus dem Deutschen Bund gedrängt werden und schließlich musste Frankreich besiegt werden, um die gewünschte Einigung abzuschließen. Im Deutsch-Österreichischen Krieg von 1866 wurde Franz-Josef I. zum großen Verlieren und musste die Auflösung des Deutschen Bundes anerkennen. Fortan war Österreich ausgeschaltet, weswegen Bismarck in Ruhe seinen nächsten Coup vorbereiten konnte. Ein Krieg mit Frankreich wurde mit allen Mitteln vorangetrieben. Die Emser Depesche war schließlich der Auslöser dafür, dass Frankreich sich so sehr in der öffentlichen Ehre verletzt sah, dass es Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg erklärte.
Als Wilhelm I. in Versailles zum Kaiser des neuen Deutschen Reiches ausgerufen wurde, war die Politik Bismarck voll aufgegangen. Nun wurden im ganzen Reich Kräfte freigesetzt, die dazu führten, dass das bisher technisch schlummernde Land in kürzester Zeit zu einer führenden Nationen aufstieg.
Die nachfolgende Tabelle soll diesen rasanten Auftrieb anhand der Stallproduktion (in Millionen Tonnen) verdeutlichen:


Jahr Großbritannien Deutsches Reich Frankreich Russland
1875 - 1879 0,90 - 0,26 0,08
1880 - 1884 1,82 0,99 0,46 0,25
1885 - 1889 2,86 1,65 0,54 0,23
1890 - 1894 3,19 2,89 0,77 0,54
1895 - 1899 4,33 5,08 1,26 1,32
1900 - 1904 5,04 7,71 1,70 2,35
1905 - 1909 6,09 11,30 2,65 2,63
1910 - 1913 6,93 16,24 4,09 4,20

Carlo M. Cipolla: The Fontana Economic History of Europe, Bd. 3, S. 775.

Die gesamte Politik war allerdings auf die Person Bismarcks ausgelegt. Als er 1890 von Wilhelm II. entlassen wurde, brach das System, das mit vielerlei Hilfsmitteln von dem geschickten Politiker und gewieften Diplomaten zusammengehalten wurde, in sich zusammen. Kaiser Wilhelm II. installierte aus seinem Selbstverständnis heraus ein neoabsolutistisches Gebilde, das sowohl im Inneren künstlich aufgebläht wurde, als auch nach Außen immer bedrohlicher schien.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Österreich-Ungarn
Die hausgemachten Probleme des Vielvölkerstaates Österreich waren seit langer Zeit evident und die Lösung wurde so lange hinausgezögert, wie es nur ging. Die Revolution, die weite Teile Europas Mitte des 19. Jahrhunderts erfasst hatte, ging auch an Österreich nicht spurlos vorüber. Allerdings waren die Auswirkungen insofern dramatischer, da die Risse, die hier sichtbar wurden, den siechenden Niedergang des Habsburgerreiches beschworen. Die Revolution war in Österreich insofern stärker ausgefallen, da die verschiedensten Nationalitäten, wie Ungarn, Kroaten, Serben, Tschechen und Rumänen ihre nationalen Eigenheiten wahren wollten. Die lodernden Flammen der Autonomiebewegungen gingen überall gleichzeitig auf und drohten den gesamten Staat in Schutt und Asche zu legen. Franz-Josef I., der fast schon mythische Kaiser Österreichs, konnte erst mit russischer Hilfe die ungarische und schließlich auch die anderen Krisenherde beseitigen. Die wirtschaftliche Rückständigkeit und die nur schwach angehende Industrialisierung erschwerte eine Rettung des Staates aus eigener Kraft. Hinzu kamen das außenpolitische Desaster. Die Einigung Italiens ging bereits mit territorialen Verlusten einher, aber der Ausschluss vom Deutschen Bund und die schmachvolle Anerkennung Preußens als den deutschen Vorreiter, lasteten umso schwerer auf dem ohnehin gebeutelten Gemüt. Der letzte Strohalm wurde 1867 mit der Installation der K. und K. Monarchie zwischen Österreich und Ungarn ergriffen. Allerdings wurde mit diesem Schritt nur eine vorübergehende Ruhe geschaffen. Durch die faktische Erhöhung Ungarns fühlten sich andere Nationalitäten benachteiligt. Die Verbissenheit, mit der sich Österreich an die Vergangenheit und alten Traditionen geklammert hatte, war schließlich die Begründung dessen Untergangs.
Der wachsende Panslawismus, dessen sich Russland verpflichtet fühlte, brachte außenpolitisch den Bruch mit dem einstigen Partner aus der Heiligen Allianz von 1815. Österreichs diplomatischer Starrsinn brachte das Land im Vorfeld des Ersten Weltkrieges in eine "quasi" Isolation. Der einzige Partner, auf den man sich verlassen konnte und wollte, war das ebenfalls von den anderen Großmächten immer mehr gemiedene Deutsche Reich.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Italien
Die Geschichte Europas ist ohne Italien und vor allem ohne dem Römischen Reich, gar nicht zu denken.
Italien war am Anfang des 19. Jahrhunderts dagegen nicht mehr, als ein geographischer Begriff, aber dennoch gingen aus dem einst so mächtigen Land, immer noch sehr wichtige Impulse aus, die vor allem die geistige Entwicklung Europas gefördert haben. Vor der Einigung Italiens existierten mehrere Mittelstaaten, die teilweise mit eiserner Hand von mächtigen Familien beherrscht wurden. Allerdings bestimmten fremde Mächte seit langer Zeit das politische Geschehen. Frankreich beherrschte Oberitalien, Österreich übernahm das Zepter in der Lombardei, Neapel, Sardinien und in der Toskana. Einzig das Herzogtum Piemont-Savoyen konnte eine gewisse Eigenständigkeit bewahren. Die politische Zerrissenheit, verstärkt durch die andauernde Fremdherrschaft, gepaart mit dem Hinterherhinken sowohl in wirtschaftlichen, als auch technischen Belangen, deuteten sehr mangelhafte Voraussetzungen für eine Einigung an.
Dass eine unabhängige Nation entstehen konnte, war dann schließlich der Verdienst dreier Einzelpersönlichkeiten, nämlich Mazzini, Garibaldi und Graf Cavour. Die Charaktere hätten nicht unterschiedlicher sein können, aber dennoch einte sie die gemeinsame Idee und der gemeinsame Wille. Manzzini war ein Denker, der mit seinem ganzen Tun der Wortführer des "Risorgimento" wurde. Seine Schriften stecken voller Enthusiasmus und verkündeten eine friedliche Zukunft, nicht nur für ein vereintes Italien, sondern auch für die ganze Welt. Man könnte sagen, dass Manzzini ein Träumer war, der wegen des seligen Schlafes nicht aufzuwachen gedachte. Als nach den Wirrungen von 1848/49 die Reaktion auch in Italien durchgegriffen hatte, war ihm klar, dass seine Ideale so nicht verwirklicht werden konnten. So groß aber seine Enttäuschung auch sein musste, so wichtig war sein Auftreten für die Freisetzung eines nationalen Selbstwertgefühls der italienischen Bevölkerung. Ein Mann, der in ganz besonderer Weise sich von der Welle des Einigungsgedanken tragen ließ, war Garibaldi. Er war ein Haudegen, ein politischer Abenteurer, aber vor allem ein Mann des Volkes. Der berühmte "Zug der Tausend" unter der Führung Garibaldis, machte diesen Mann zu einer Legende. Endlich hatte es einer gewagt, Worten auch Taten folgen zu lassen.
Der dritte im Bunde war Graf Camillo di Cavour. Als Ministerpräsident des Königreiches Sardinien-Piemont, konnte er seine Ziele in ganz anderer Weise angehen. Es war allen klar, dass eine Einigung Italiens nur mit kriegerischen Mitteln gegen Österreich zustande kommen konnte. Nun mussten alle diplomatischen Raffinessen ergriffen werden, wenn Italien nicht zum Spielball der anderen Großmächte werden wollte. Cavour schaffte es auf brillante Weise England und Frankreich auf seine Seite zu ziehen. Es war schließlich auch der besonnene Politiker, der es durch sein Verhandlungsgeschick schaffte die explodierende Kraft des Einigungsvorganges, soweit abkühlen zu lassen, dass weitere Konflikte, vor allem mit Frankreich vermieden werden konnten. Viktor Emanuel II. konnte sich schließlich am 14. März 1861 zum König von Italien ausrufen lassen. Damit war Italien zu ersehnten Ziel gelangt, dessen Abschluss erst knapp 10 Jahre später durch die militärische Eingliederung des Vatikanstaates, das bis dahin Frankreichs Schutz genossen hatte, erreicht wurde.
Die Einigung Italiens hatte vielfältige Folgen für Europa mit sich gebracht. Zum einen konnte sich die Einigung des Deutschen Reiches im Kielwasser der italienischen Ereignisse entwickeln. Außerdem wurde Österreich so sehr aus den Fugen gerissen, dass es nicht mehr verhindern konnte, dass im eigenen Staat die nationale Frage immer größere Probleme mit sich brachte und zudem wurde es so geschwächt, dass Bismarck ohne Angst eine direkte Konfrontation gegen das Habsburgerreich für die Lösung seines Problems suchen konnte.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Russland
In den vorhergehenden Darstellungen wurde ein Ereignis bisher verschwiegen. Der Krim-Krieg, der die russische Expansion auf Kosten des Osmanischen Reiches darstellte, wurde zu einem europäischen Krieg. Die Auseinadersetzung am schwarzen Meer sollte Russland aus der eingeengten Position heraushelfen, um so den Rückstand gegenüber der industriell sich rasch entwickelnden Westmächten aufzuholen. Diese Politik war nichts Neues. Bereits Zar Peter der Große hatte im 18. Jahrhundert große Anstrengungen unternommen, um seinem Land den Zugang vom schwarzen Meer zur Ägäis zu sichern.
Nikolaus I. sah im Vorfeld des Krim-Krieges die Chance, dass der lang ersehnte Wunsch sich nun endlich erfüllen konnte. Der schwelende Panslawismus und die Beschützerrolle Russlands gegenüber den orthodoxen Christen verstärkten den Konflikt mit dem Osmanischen Reich. Zudem sollten die außenpolitischen Erfolge, die Probleme im Inneren abschwächen. Das reformbedürftige System, dass immer noch auf die Agrarstrukturen aus dem Mittelalter aufbaute, konnte unter den absolutistischen Zügen des Zaren keinerlei Fortschritte erzielen. Die Wirtschaft lag brach und jegliche Form von Industrialisierung wurde im Keim erstickt. Der technische Rückstand Russlands wurde während der Kämpfe auf der Krimhalbinsel für alle sichtbar. Während die Gegner schnellfeuernde Artillerie einsetzten, kämpften die russischen Soldaten noch mit Feuersteingewähren, die vor 150 Jahren modern waren. Außerdem trugen die Soldaten Lederhelme, die keinesfalls den nötigen Schutz boten. Somit war 1855 die russische Kapitulation in Sewastopol unvermeidlich. Russland war isoliert. Die Freundschaft mit Österreich ging in die Brüche, da der einstige Partner zwar nicht aktiv gegen Russland, aber auch nicht für Russland war. England und Frankreich, die das Osmanische Reich unterstützten, hatten ihre Positionen sehr deutlich gemacht.
Mit dem Amtsantritt Alexanders II. sollte sich die Lage für Russland ein wenig verbessern. Die Bauernbefreiung, Unterrichts- und Gerichtsreformen, sollten den Rückstand zum Westen verringern, aber da das gesamte System bis zum Brechen marode war, waren jegliche Reformversuche nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und als schließlich Zar Alexander II. nur knapp einem Attentat entging, änderte auch er seine innenpolitischen Ziele. Die zarten Versuche das Land zu liberalisieren, wichen einem starken Reaktionismus. Anton Tschechow fasste die Situation Russlands sehr passend in seinem Theaterstück zusammen, indem er den Studenten Trofimow sagen lässt:
Wir sind um mindestens zweihundert Jahre zurückgeblieben; wir haben nichts, einfach gar nichts, keine bestimmte Einstellung zur Vergangenheit; wir philosophieren nur, klagen über Langeweile oder trinken Schnaps. Es ist ja so klar: Um ein Leben in der Gegenwart zu beginnen, müssen wir zuerst unsere Vergangenheit sühnen und mit ihr Schluß machen; und sühnen können wir sie nur durch Leid, nur durch außerordentliche, unablässige Arbeit.

Görtemaker, Manfred: Geschichte Europas 1850 - 1914. S.179.

Das Verkennen der eigenen Position und die missliche Lage der Nation gipfelten schließlich im Russisch-Japanischen Krieg von 1904 - 1905. Die Ereignisse in der Mandschurei ließen alle diplomatischen Beziehungen zu Japan abbrechen und endeten in einer Kriegserklärung. Als japanische Torpedoboote die ahnungslosen Schiffe in Port Arthur angriffen, war die Verwunderung vor Ort sehr groß. Die Regierung hat nämlich versäumt die eigenen Befehlshaber vom Ausbruch des Krieges zu unterrichten. Am Ende der kriegerischen Auseinadersetzung war die scheinbare Revolution gekommen, aber leider konnten die Hoffnungen der Bevölkerung wieder mal nicht erfüllt werden. Die Unzufriedenheit der breiten Massen fand schließlich ihren Höhepunkt in der Februar- und Oktoberrevolution im Jahre 1917. Das Volk erreichte dann schließlich auch, dass Russland den Ersten Weltkrieg vorzeitig mit einem separaten Frieden zum Abschluss brachte, um die nötigen Kräfte im Inneren zu mobilisieren.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Osmanisches Reich
Die Bezeichnung "Der kranke Mann am Bosporus" ist für das osmanische Reich um 1850 sehr treffend gewählt. Seit längerer Zeit deutete sich bereits an, dass die europäischen Gebiete auf lange Sicht nicht gehalten werden konnten. Zum einen waren die inneren Verhältnisse des osmanischen Reiches nicht zum Besten bestellt, und zum anderen war die nationale Bewegung nicht spurlos an den europäischen Besitzungen vorbeigegangen. So konnte Griechenland zum Beispiel das Joch der Fremdherrschaft bereits 1832 durch die Krönung Prinz Ottos von Bayern zum König eines eigenständigen Griechenlands ablegen. Die Bulgaren und die Balkanländer konnten sich ebenfalls von der türkischen Obrigkeit mit Hilfe der Großmächte befreien. Die Interventionsversuche europäischer Staaten zeigten sehr deutlich die verwirrende Lage, in der sich das osmanische Reich selbst und teilweise selbstverschuldet befand. Zum einen war man gewillt die nationalen Bestrebungen der Einzelstaaten zu unterstützen, andererseits war man sich aber dessen bewusst, dass gerade diese nationalen Bestrebungen einem Pulverfass gleichkamen. Das Habsburgerreich war spätestens seit dem 16. Jahrhundert der natürliche Gegenspieler des Osmanischen Reiches. Mit Russland ist dem türkischen Reich aber ein weiterer Gegner erwachsen, der mehrere Gründe vorzubringen wusste, um immer wieder den offenen Konflikt zu suchen. Der bereits angesprochene Krim-Krieg war vielleicht sogar die letzte Chance der europäischen Mächte die Wogen einigermaßen zu glätten, um die drohende Katastrophe noch abzuwenden. England und Frankreich, die vor kurzem noch den griechischen Freiheitskampf unterstützt haben, griffen nun auf Seiten des osmanischen Reiches ein, um so dem Expansionsanspruch Russlands entgegenzuwirken. Aber kaum 20 Jahre später war es wieder Russland, der sich als Beschützer aller Slawen für die Unabhängigkeit des Balkangebietes stark gemacht hatte und dessen Höhepunkt im russisch-türkischen Krieg von 1877-78 gipfelte. Der anschließende Berliner Kongress konnte nun den Zerfallprozess des osmanischen Reiches, der kurz zuvor mit Abdul Hamid II. einen neuen Herrscher bekommen hat und dessen Unfähigkeit den ohnehin schon korrupten Staat noch unregierbarer gemacht hatte, nicht aufhalten. Abdul Hamid II. war versucht die Verluste im äußeren durch eine wenig Erfolg versprechende Innenpolitik auszugleichen. Allerdings waren seine panislamische Propaganda, seine unklugen Interventionen in Ägypten, das auf Spionage und Denunziation aufgebaute System in weiten Teilen des Landes und die Unterdrückung der christlichen Minderheit schließlich der Grund dafür, dass auch die letzten Verbündeten, wie England, sich immer mehr vom osmanischen Reich entfernten und entfremdeten.
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Fazit
Die zu Anfang des 19. Jahrhunderts beim Wiener Kongress geschaffenen Kanäle der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, wurden gegen Ende des selbigen Jahrhunderts durch ein kaum zu durchschauendes System von Abkommen und Koalitionen abgelöst. Die gesteigerten diplomatischen Bemühungen konnten am Ende aber die national aufgeheizten Stimmungen nicht soweit dämmen, dass die Katastrophe hätte irgendwie verhindert werden können.

Welche Zusammenhänge findet man also nun zwischen der historischen Wirklichkeit und dem Brettspiel Diplomacy?
Ein allgemeines Problem von historischen Spielen ist, dass der Autor eine goldene Mitte zwischen Spielbarkeit und geschichtlicher Authentizität finden muss. Diplomacy schafft es sogar sehr gut die politische Wirklichkeit, aber eben nur diese, abzubilden. Das Spiel mündet nämlich tatsächlich in einem gespielten Krieg. Jede Überlegung, jeder Schritt und jeder Zug, den man macht, bringt den spielerischen Waffengang immer näher. Die Spieler müssen ihre ganzen diplomatischen Begabungen und sehr viel Fingerspitzengefühl aufbringen, um als Sieger hervorzutreten.
Richard Sharp schreibt zu Recht in der Einleitung zu seinem Buch, dass "sieben Zuchtraten, die die Zeit in ihren Händen halten", das Spielgeschehen und ein Stück Wirklichkeit mit dem eigenen Geschick zu lenken versuchen.
Wer genug Spielspaß und Ausdauer mitbringt und keine Angst davor hat, eigene dunkle Seiten kennen zu lernen, der wird von Diplomacy begeistert sein und nicht mehr davon wegkommen.
Asark
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Re: Der historische Hintergrund von Diplomacy

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Genutzte Literatur:
Görtemaker, Manfred: Geschichte Europas 1850 - 1914.
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