Die Gibraltar-Eröffnung auf Classic Gibraltar

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Racolm
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Die Gibraltar-Eröffnung auf Classic Gibraltar

Post by Racolm »

Ich möchte mich an dieser Stelle mit der Gibraltar-Eröffnung auseinandersetzen, die möglicherweise in der zurzeit getesteten Variante „Classic Gibraltar“ einen essenziellen Einfluss gewinnen wird und das sowohl in ihrer vollendeten als auch in ihrer abgebrochenen Form, sowie etwaigen Variationen innerhalb beider Optionen. Zudem möchte ich versuchen ihre Konsequenzen auf den späteren Spielablauf zu prognostizieren.

Der für die Gibraltar-Eröffnung entscheidende Zug ist der Konvoi der britischen Armee im Herbst 1901 nach Gibraltar. Dazu ist erforderlich, dass sich die französische Flotte (wie meistens ohnehin) im Mittelatlantik und die britische Edinburgh-Flotte im Nordatlantik befindet. Des Weiteren muss die britische Armee nach Clyde oder Edinburgh gebracht werden, denn durch die neuen Grenzverläufe, die den Zug Edinburgh-Nordatlantik möglich machen, wird Liverpool vom Nordatlantik abgeschnitten. Edinburgh ist hierbei die deutlich attraktivere Zwischenstation, da sie flexibler ist.
Es gibt noch eine weitere Option, die darin besteht, dass Großbritannien in den Kanal eröffnet und Liverpool nach Wales zieht, aber diese Variante ist für Frankreich so riskant, dass es wohl niemals darauf eingehen würde.

Sehen wir uns die Konsequenzen für die anderen Einheiten der beiden Mächte an und den Status der Karte zum Zeitpunkt der ersten Aufbauten. Außerdem, sollten wir einen Blick auf die hintergründigen diplomatischen Winkelzüge werfen.
Da Frankreich seine Flotte bei einer vollzogenen Gibraltar-Eröffnung nicht auf die Einnahme Portugals verwenden kann, ist es für die Grande Nation nur möglich die iberische Halbinsel optimal im ersten Jahr für sich auszuschlachten, wenn es im Sinne des iberischen Gambits eröffnet, auch als Gascogne-Eröffnung bekannt. Diese Eröffnung ist im Grunde antibritisch und kann- wenn man die Gibraltar-Eröffnung abbricht- auch noch immer so genutzt werden. Frankreich kann also Deutschland versprechen mit ihm gegen Großbritannien zu ziehen und Großbritannien anbieten die Gibraltar-Eröffnung auszuführen, die Züge dafür sind die gleichen:

Frühjahr 1901
F Brest- Mittelatlantik
A Paris- Gascogne
A Marseille- Spanien

Im Herbst kann sich Frankreich dann für eine der Seiten entscheiden.

Herbst 1901 (Pro-Britannien)
F Mittelatlantik c A Edinburgh- Gibraltar
A Gascogne- Spanien
A Spanien- Portugal

Herbst 1901 (Anti-Britannien)
F Mittelatlantik- Irische See/Kanal
A Gascogne- Spanien
A Spanien- Portugal

Die erste Variante ist dabei relativ sicher und dafür langsam, die zweite schnell und dafür riskant. Warum?
Wenn Großbritannien mit seinem Konvoi ins Leere läuft erhält es im ersten Jahr lediglich Norwegen und hat zudem keine Flotte in der Nordsee. Daher ist der Eröffnungszug nach Edinburgh auch soviel sicherer als der nach Clyde, denn sollte der britische Spieler Zweifel an Frankreich im Herbst 1901 haben kann es seine Armee immer noch über die Nordsee nach Norwegen schleusen und seine Flotte in der Nordsee behalten. Außerdem kann es den Nordatlantik immer noch in die Irische See oder das Nordmeer bringen. Die Eröffnung nach Clyde bietet natürlich Frankreich wiederum mehr Sicherheit, was man in seine Diplomatie mit einkalkulieren sollte. Wenn nun aber Großbritannien keine Lunte wittert und zwei seiner Einheiten im Herbst faktisch stillstehen lässt. Dann ist es für Frankreich, Deutschland (und Russland) ein leichtes Ziel. Da Norwegen ohne eine Einheit in der Nordsee oder dem Nordmeer nicht gedeckt werden kann, ist es dem Russen mit einem Aufbau im Sankt Petersburg möglich dieses im zweiten Jahr zu erobern, sofern er im ersten Jahr nicht vom Deutschen in Schweden geblockt wurde. Daher ist es dem Briten (und im Falle einer Zusammenarbeit dem Franzosen) ein besonderes Anliegen, dass Deutschland im Herbst 1901 nach Schweden zieht. Der Brite kann das erreichen indem er beispielsweise eine Zusammenarbeit gegen Russland anbietet bei der Deutschland Schweden und Großbritannien Sankt Petersburg erhält. Da das der Standard bei Britisch-deutscher Zusammenarbeit ist, wirkt dergleichen unverdächtig. Wenn es dazu kommt fehlt dem Russen nicht nur eine Einheit in Schweden, sondern mitunter auch das nötige Versorgungszentrum um in Sankt Petersburg aufzubauen.
Wenn Deutschland allerdings nicht blockt, verliert Großbritannien Norwegen sicher und muss seine Ressourcen vollkommen auf dessen Rückeroberung verwenden. Wenn ihm dann auch noch das zweite VZ in Gibraltar fehlt, der Franzose stattdessen vor Liverpool oder London steht und Deutschland die unbesetzte Nordsee attackiert, ist Großbritannien in Kürze Geschichte. Für ein französisch-deutsches Bündnis ist also ein rascher gemeinsamer Triumph möglich.
Diese Vorgehensweise birgt aber auch ein großes Risiko für Frankreich. Denn das iberische Gambit bedeutet einen kompletten Rückzug nach Westen, den ein Bündnis von Großbritannien, Deutschland (und Italien) für sich ausnutzen können. Burgund kann spielerisch eingenommen werden, außerdem verliert Frankreich jedweden Anspruch auf Belgien. Im Zweifel sieht es sogar Marseille durch Italien bedroht. Frankreich kann hier eine etwas sicherere Variante spielen und auf Portugal verzichten, um stattdessen nach Burgund zu ziehen. Das bedeutet bei einem Seekrieg gegen Britannien im weiteren Verlauf aber auch einen groben Nachteil.

Soviel also zur abgebrochenen Gibraltar-Eröffnung. Sehen wir uns die abgeschlossene an. Die abgeschlossene Gibraltar-Eröffnung ist wie oben bereits erwähnt langsam, aber sicher. Auch hier kann Frankreich zwar das Opfer eines deutschen Überfalls werden, aber die Armee in der Gascogne kann im Zweifel jedes Heimatversorgungszentrum gegen einen deutschen Eindringling verteidigen. Eine britische Teilnahme würde für Großbritannien bedeuten entweder auf Gibraltar zu verzichten oder aber mit auseinandergerissenen Truppenverbänden zu kämpfen, denn der Mittelatlantik gehört ja immer noch Frankreich. Tatsächlich ist die britische Armee in Gibraltar ziemlich isoliert und kann recht wenig gegen Frankreich ausrichten bis der Mittelatlantik erobert wurde. Außerdem ist ein gemeinsamer Konvoi tendenziell etwas, dass zwei Spieler zusammenschweißt. Nur die wenigsten Spieler sind realistisch betrachtet wohl kaltblütig genug, um danach einen direkten Verrat zu üben.

Soviel zu den Risiken. Sehen wir uns das Optimalergebnis an. In diesem Fall hätte Frankreich Portugal und Spanien annektiert und Großbritannien Norwegen und Gibraltar. Ferner hätte Deutschland Russland in Schweden geblockt und Belgien eingenommen. Nun blickt ein Bündnis von Frankreich und Großbritannien mit jeweils zwei Aufbauten auf ein Deutsches Reich mit drei Aufbauten. Bei dieser Konstellation wirkt das Bündnis natürlich zunächst einmal stärker, aber man muss bedenken, dass die Westmächte noch immer sehr viele Einheiten im Hinterland haben, die erst noch an die Front gebracht werden müssten. Schlussendlich würde das Bündnis Deutschland wohl bezwingen, aber es würde sehr lange dauern. Bei Classic Gibraltar bietet sich an dieser Stelle eine Alternative an auf die wir jetzt eingehen wollen.

Was wäre wenn man Deutschland einfach links (respektive rechts) liegen ließe?
Wenn man einfach einen Nichtangriffspakt mit dem Reich schlösse? Das kommt bei Diplomacy unter diesen Mächten eigentlich nie vor ist hier aber eine realistische Option. Denn Frankreich könnte in Marseille eine Flotte aufbauen und die britische Armee in Gibraltar steht bereits antiitalienisch. Sie kann theoretisch über die Landbrücke nach Marokko ziehen und Algerien attackieren. Die französische Mittelatlantik-Flotte kann ins westliche Mittelmeer verschoben werden und die britische Nordatlantik-Flotte entweder nachziehen oder eine italienische Verteidigung über den Fernen Atlantik und das östliche Mittelmeer (im Zweifel in Absprache mit dem osmanischen Reich) umrunden und Tunis und Neapel von Osten bedrohen. Natürlich müsste Großbritannien die Nordsee mit einer Flotte sichern, aber ansonsten könnte es im Norden weitgehend auf Einheiten verzichten. Es kann sogar mit Frankreich und Deutschland gleichzeitig zusammenarbeiten. Es kann wie am Anfang schon einmal angedeutet tatsächlich Sankt Petersburg angehen und Deutschland dafür Schweden verschaffen. Es kann natürlich aber auch mit Russland kooperieren.
Tatsächlich kann die komplette Gibraltar-Eröffnung mit Deutschland abgesprochen werden, denn es hat auch eine Reihe eklatanter Vorteile von ihr. Zum einen erhält es zu Beginn Belgien, dann vielleicht sogar Schweden. Es ist also eine alleinstehende Supermacht im Zentrum der Karte, die sich jetzt anstatt nach Westen auch nach Osten orientieren kann. Es kann sich mit Britannien und Österreich-Ungarn gegen Russland verbünden oder mit Russland gegen Österreich-Ungarn. Theoretisch (auch wenn das aus deutscher Perspektive eher wenig vielversprechend ist) könnte sich sogar das komplette Nordtrio gegen Italien verschwören. Daraus würde aber ein schnell bezwungenes Italien folgen und daraus wiederum Westmächte, die sich auf ein neues Ziel stürzen möchten und das wäre entweder das Osmanische Reich oder- und das ist wahrscheinlicher- das Deutsche Reich.

Tatsächlich kann sich theoretisch aber auch von Anfang an ein antiosmanisches Bündnis mit Italien bilden, das das östliche Mittelmeer zur Truppenschwemme nutzt. Aber das wäre wohl eher ein exotischer Sonderfall.

Was die Möglichkeit der Gibraltar-Eröffnung also im Klartext bringt, ist folgendes.

1. Sie belebt als ihr prodeutsches Spiegelbild das iberische Gambit wieder, das auf dieser Plattform sehr unpopulär ist.
2. Sie schafft völlig neuartige Bündniskonstellationen und somit ein ganz neuartiges Diplomacy-Spielgefühl.
3. Sie sorgt in der Frühphase des Spiels für eine stark erhöhte diplomatische Intensität. Die klassische Eröffnung Großbritanniens und die Maginot-Eröffnung Frankreich, die man ohne ein Wort zu seinen Nachbarn durchziehen konnte, bekommen Konkurrenz durch eine Strategie, die Verhandlungen bis ans andere Kartenende mit sich bringt.
4. Sie verhindert die ewig lange Belagerung Großbritanniens oder vor allem Frankreichs und steht stattdessen für schnelle Feldzüge, die diplomatisch durch Absprachen und Verrat vorbereitet werden.

Damit wir von diesen Vorteilen aber profitieren können, müssen wir die Gibraltar-Eröffnung und das iberische Gambit in unser Herz lassen. Wenn diese Eröffnungen nicht gespielt werden und sich nicht als standardmäßige Optionen etablieren, kann Classic Gibraltar wohl nur einen Bruchteil seines Potentials entfalten. Ich möchte daher die Bitte aussprechen, vielleicht auch auf der klassischen Karte das iberische Gambit als Frankreich, aber auch als Deutschland oder Großbritannien als ernst zunehmende Strategie zu würdigen, sodass auf Classic Gibraltar die Gibraltar-Eröffnung auch mehr Relevanz erhält, denn diese beidem Eröffnungen gehen meiner Prognose nach Hand und Hand.
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